Dämonin alter Schule

Vor mir auf dem Tisch liegen vier Polaroidfotos von vier verschiedenen Booten.

Mazikeen hat sie wortlos vor mir ausgebreitet, nachdem ihre vorerst letzte Ohrfeige mich zum Schweigen gebracht hat. Die Namen der Yachten hat sie mit einem Filzstift auf die unteren Ränder gekritzelt: baby girl II, speed girl, Demon und Lady Brendan. Die ersten beiden Boote sind große, schlanke Rennsegler von der Sorte, wie sie am America’s Cup teilnehmen könnten, eines davon ist in vollem Kampfdesign, mit zig Werbelogos versehen. Das dritte Boot ist ein moderner 50 oder 60 Fuss grosser Katamaran, grau und düster designed, der seinem Namen Demon alle Ehre macht. Das vierte Bild zeigt unsere gute alte Ketch, mit der wir früher schon einmal den Atlantik überquert hatten, seltsam sauber allerdings und zweifelsohne in den alten Farben – burgunderrot und grau – neu gestrichen.

Maze macht das manchmal: Sie packt ihre alte Polaroid aus und schießt damit die besonderen Fotos. Sie macht das, wenn sie die Zeit anhalten möchte, als Atempause, um besondere Erinnerungen oder Situationen festzuhalten, die zuviel Bedeutung haben, um mittels spiegelreflektierter Pixel ein digitales Schattendasein zu führen. Chemische Momente nennt sie das. Was sie verabscheut sind Handyfotos und Menschen, die glauben, dass inflationäre „Telefonknipsereien“ Erinnerungswert besitzen würden. Mazikeen hasst nicht die Menschen, sie hasst Oberflächlichkeit. (Was auch der Grund ist, warum sie telefoniert und keine Kurznachrichten verschickt. Außer an mich, weil sie weiß, dass mein Handy grundsätzlich keine Töne von sich gibt, also auch keine Klingelzeichen.) Mazikeen fotografiert mit ihrer Profi-SLR oder manchmal eben mit ihrer altertümlichen Polaroid. Niemals mit „Sachen, mit denen man telefonieren kann“. Sie ist ein Dämon alter Schule. Sie schreibt noch richtige Briefe. Ernsthaft!

„Was will die Künstlerin mir mit den Bildern sagen und wo hast du das Foto von Lady Brendan gemacht?“

„Zuhause“, entgegnet sie knapp. Egal wo wir gerade wohnen, mit „Zuhause“ bezeichnet sie ausschließlich Orcas Island und insbesondere ihr Anwesen am nordwestlichen Strand der Insel. Wobei, genaugenommen ist es ja unser Anwesen, denn mein Name steht seit mehr als zehn Jahren neben ihrem im Grundbuch. Ausschließlich auf ihre Veranlassung hin, möchte ich betonen.

„Lady Brendan liegt vor Washington?“, frage ich verwundert: „Wie kommt sie denn dahin?“ Wir hatten den alten Zweimaster damals nämlich nach Australien, nach Brisbane, verkauft. Und zwischen dort und Orcas liegen mindestens sechs bis acht Wochen Pazifik. Bei gutem Wetter.

„Ich habe sie gekauft.“

Fragezeichen kreisen um meinen Kopf. Wieso würde meine Frau heimlich unseren alten Segler kaufen?

„Hinter meinem Rücken?“ Ich sage es und weiß im selben Moment, dass diese Frage noch dümmer ist, als alles Andere, was ich für gewöhnlich von mir gebe. Alles, was Mazikeen macht, passiert genaugenommen „hinter meinem Rücken“, weil mein Dämon meist nicht viel mehr als die Rückseite von mir zu sehen bekommt. Ich beachte nicht, was sie tut. Wenn wir nicht gerade gemeinsam auf einem Boot eingesperrt sind oder/und höllischen Sex haben, weiß ich nichts von dem, was sie den lieben langen Tag so treibt. Irgendwas mit Rennbooten, glaube ich. Ich weiß ich bin eine schreckliche Ehefrau. Aber: Wenn mich jemand liebt, ist er schließlich selbst Schuld. Ich spreche dafür keine Einladungen aus.

Ich verfolge dieses spezielle Thema nicht weiter, sondern heuchle noch einmal allgemeines Interesse, damit ich irgendwann meinen Kaffee wieder in Ruhe und ungestört trinken kann. Meinen KALTEN Kaffee!

„Wem gehören die anderen Boote?“

„Mir.“

„Aha.“

Ich gebe zu, dass unsere Gespräche oftmals etwas – sagen wir – nordfriesisch knapp gehalten sind. Aber man muss ja nicht jedes Mal gleich Romane erzählen, wenn man Zeit sparen kann um sich auf die wichtigen Dinge des Lebens, Kaffee und Sex, zu konzentrieren. Sowohl Höllenfürstinnen wie Dämonen definieren verbal eher klitoraler.

Ich hätte jetzt nachfragen können, warum Maze unser altes Boot gekauft hat, doch ich bin mir sicher, dass sich die Antwort darauf im weiteren Verlauf des Gespräches ergeben wird, warum also unnötig Energie verschwenden? Je mehr Gequatsche, desto kälter wird der Rest meines Kaffees!

Hat Mazikeen meinen aktuellen Kaffeenotstand bemerkt oder warum steht sie auf? Sie will doch nicht etwa um den Tisch herum und sich mit mir zu prügeln? Das wäre mir um diese Uhrzeit echt zu anstrengend! Andererseits habe ich auch nichts getan, was einen ausgewachsenen Dämonenangriff rechtfertigen könnte! Aber – Entwarnung – sie geht in die Küche um Kaffee zu kochen. Versteh einer diese Höllenwesen!

„Ich handele mit Yachten, wie du weißt.“

Wie ich weiß? „Woher soll ich das wissen?“

„Interessant“, nickt Maze und schüttet zwei Messlöffel Kaffee in die Metallkanne.

„Ich dachte, du konstruierst Rennboote?“

„Auch.“

Maze ist also auch im An- und Verkauf tätig. Frau lernt ja immer gerne dazu. Auf dem Elektroherd kocht das Wasser. (Und wieso gibt es auf diesem Boot eigentlich keinen elektrischen Wasserkocher?)

„Du interessierst dich wirklich nicht für mich, oder?“

Ich schaue zu, wie sie die kleine Kanne bis zum Rand mit heißem Wasser füllt.

„Das ist die Mutter aller dummen Fragen“, sage ich.

Maze startet die Stoppuhr ihrer Omega*.

„Stimmt“, gibt sie zu: „Für Tammy gibt es nur Tammy.“

„Wen sollte es sonst noch geben? Ich bin evolutionsgeprägt.“

Der Witz ist, dass das nicht stimmt. Neben mir selbst gibt es noch Joana. Aber Mazikeen weiß genau, dass sie selbst immer nur meine Nummer 2 sein wird. Genaugenommen lautet meine Prioritätenreihenfolge: Joana, Tammy, Maze. Shit happens. Auf diese Tatsache ist sie noch nie wirklich eingegangen, wenn man mal davon absieht, dass sie immer alles versucht hat, dass es zwischen Joana und mir funktioniert. Ich vermute, dass es genau das ist, was einen persönlichen Dämon ausmacht: Höllenfürstin zuerst. Umso verwunderlicher ist ihr jetziger Vorstoß.

Ihre nächste Aussage bestätigt die Veränderung zumindest teilweise. Abgesehen davon, dass ich mich wieder zu einem Lachanfall hinreißen lassen: „Die Fliegerei ist für dich vorbei.“ Wie zur Bestätigung piepst ihre Omega.

Normalerweise bin ich ja die Schlagfertigkeit in Person, doch in diesem Moment fällt mir nichts ein. Mazikeens Aussage ist lächerlich und erschreckend zugleich. Maze hat in keiner Weise Spaß gemacht. Dämonen können so etwas nämlich nicht. Seelenlose Folterknechte kennen lediglich Ironie und Sarkasmus.

Oder blanken Ernst.

Höllischer Sarkasmus

Fußnote:

* Maze besitzt eine Omega Seamaster und trägt sie 24/7. Ich schwöre, ich habe meinen Dämon noch nie ohne sie gesehen. Die Modelle haben im Laufe der Jahre gewechselt – heute ist es eine nagelneue, 12.000 Dollar teure America’s Cup. Eine Seamaster ist es immer.

Ich selbst besitze eine kleine Sammlung von eher billigen Armbanduhren – angefangen von einer 150 Dollar Casio (Wave Ceptor Solar, meine Lieblingsuhr) über diverse schicke, aber zerkratzte G-Shocks (merke: Casio G-Shock-Uhren sind ihr Geld nicht wert) und einer einfachen Tissot Touch 2 (mit einem Preis von 700 Dollar meine teuerste Uhr, gedacht für besondere Anlässe).

Mazikeen hat nur diese eine Omega. Aber die treibt jedem, der sie auch nur von Weitem sieht, den grünen Neid ins Gesicht. Auch mir übrigens. Warum ist sie eigentlich noch nie auf die Idee gekommen, mir eine zu schenken? Daran sollte ich arbeiten.

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