Du bist gefeuert!

Wer nicht an meinem Tagebuch interessiert ist, braucht jetzt gar nicht weiterlesen, denn ich fürchte, jetzt wird’s langweilig. Genaugenommen ist, was folgt, eine Art Minute (Wie heißt das auf Deutsch?) unseres Meetings.

Miranda hat mich mit der Eröffnung begrüßt, dass wir uns, „dank deines unermüdlichen Einsatzes“, die Marketingreise nicht weiter leisten könnten. Aha. Ich weiß zwar nicht, was das mit mir zu tun hat, aber sei’s drum. Die Dauerfliegerei ging mir sowieso auf die Nerven. Das stimmt zwar nicht, aber ich habe es einfach mal behauptet. Was sollte ich sonst dazu sagen?
„Miranda meint deine Weigerung ein sparsameres Flugzeug zu benutzen, und deine exorbitanten Hotelkosten“, hat meine Schwester dann erklärt. Muss sie gerade sagen, denn unter fünf bis fünfundzwanzig Sternen macht sie es nicht! Ich auch nicht, aber das tut hier nichts zur Sache.
(Muss ich eigentlich dazusagen, dass unser Treffen im Peninsula auf der 5th Avenue stattfand?)

Also gut, keine Reise mehr. Wegen mir: „Ich habe euch auch lieb. Und holt mal schön meinen Flieger aus Suriname zurück. Denn ich mache das nicht!“ Darauf sind sie erst einmal nicht eingegangen.

Was folgte, waren die üblichen schwesterlichen Beschimpfungen und Gewaltandrohungen, während meine Chefin kopfschüttelnd in der Ecke saß und solange die Augen verdrehte, bis sie in entgegengesetzten Augenwinkeln steckengeblieben sind.
Zwei Stunden, ein Buffet und eine Flasche Single Malt später, war meine Schwester erschöpft genug, dass sie endlich zum eigentlichen Thema kommen wollte. Warum nicht gleich? Sie muss doch eigentlich mittlerweile wissen, dass sie gegen mich nicht ankommt?

„Ich würde dich am liebsten auszahlen, weißt du das?“
„Ich weiß“, nickte ich: „Aber du kannst es nicht.“
Sie schwieg einen Moment. Vermutlich wollte sie zuerst widersprechen, ließ es dann aber.
„Du weißt, dass wir ausweiten wollen, nehme ich an.“
„Blöde Frage.“ Seit wann wusste ich solche Sachen nicht?
„Sie hat doch überall ihre lackierten Fingernägel drin“, erklärte dann auch meine Chefin unnötigerweise.
Die Bemerkung war zu hundert Prozent überflüssig, denn ich, als zweitgrößter Anteilseigner, bekam die Protokolle jeder Aufsichtsratssitzung zugeschickt. (Früher hätte ich „AnteilseignerIN“ geschrieben, doch jetzt benutze ich schon aus Protest das generische Maskulinum.)
„Zwei Boeing 737“, überging ich die Fingernägel: „Ihr seid größenwahnsinnig geworden.“
„Wir haben das Frachtaufkommen für die Cargomaschine und das Passagieraufkommen für den Airliner“, erklärte Miranda.
„Einen Scheiß habt ihr!“, entgegnete ich freundlich: „Die Charity füllt gerade mal einen von elf Container, den Rest müsst ihr auf dem freien Markt ersteigern…“
„…und das finanziert uns unsere eigene Fracht“, unterbrach meine Chefin mich.
„Bullshit. Die ganze Welt fliegt heute Cargo! Ihr könnt nicht ansatzweise mit den Preisen der großen Carrier mithalten!“
„Das lass mal meine Sorge sein!“
Ich wusste zwar, dass Miranda, das hinbekommen würde. Sie war SO gut. Aber das sollte man ihr nicht auf die Nase binden, sie war schon eingebildet genug. Aber (oder und): Was würde unsere Firma machen, wenn sie plötzlich auf die Idee kam, den Job zu wechseln? Wir würden am Ende mit einem Schwachzocker von unfähigem CEO enden und könnten die Maschine verschrotten.
„Sie ist bereit, einen 5-Jahres-Vertrag zu unterschreiben“, warf meine Schwester ein.
„Als ob der das Papier wert ist, auf dem er geschrieben ist.“ Ich schüttelte den Kopf: „Das kommt überhaupt nicht in Frage!“

Das Problem für Anik und meine Chefin: Ich habe zwar kein Mitspracherecht in der Firma, habe aber das Recht, bei Entscheidungen, die mein Kapital gefährden könnten, mein Geld zurückzufordern. Und die Anschaffung von zwei 737 fiel ganz klar in diese Kategorie. Wir hatten schon einmal, bei unserer alten Airline über die Anschaffung eines A319 diskutiert – und uns am Ende dagegen entschieden. Na ja, damals war ich diejenige, die ihn haben wollte, doch ich verlor die Abstimmung surpreme-court-mäßig mit nur einer Stimme.

„…und was diesen Airliner angeht…“
„…haben wir die Verträge mit der Branche schon in der Tasche.“
‚Die Branche‘, so nennen wir intern die Hollywood- und andere Filmproduktionsfirmen. Und es stimmte: Die Passagier-737 würden wir tatsächlich ziemlich regelmäßig mit Filmteams füllen können, die zu ihren Produktionsorten fliegen müssen.
„…falls der Virus uns lässt.“ Ich wusste selbst, dass das ein ziemlich müdes Argument war. Würde Miranda sich bei jeder einzelnen Entscheidung von Pandemieangst leiten lassen, könnten wir die Firma gleich dichtmachen. Vermutlich ging deshalb niemand auf meinen Einwurf ein.


„Du widersprichst also nur der Cargovariante?“ Scheiße! Diese Miranda ist einfach zu clever für eine kleine Pilotin wie mich!
„Sie widerspricht generell allem. Schon aus Prinzip!“ Anik schenkte sich einen weiteren Whisky ein und ich verlangte nach einem brauchbaren Tequila.
„Du bist eine notorische Querulantin!“, beschimpfte sie mich.
„Aber eine hübsche“, stimmte ich meiner Zwillingsschwester zu.

Miranda schüttelte den Kopf und beharrte: „Du stimmst also der Passagiermaschine zu?“
Ich stimmte in das Kopfschütteln ein: „Ich stimme bei überhaupt nichts zu!“
Anik trank ihr Glas auf einen Zug leer und wandte sich an meine Chefin: „Siehst du?“

Doch meine Chefin, die kaum etwas getrunken hatte, versuchte es jetzt mit Diplomatie: „Gesetzt den Fall, dass du die Passagiermaschine akzeptieren würdest, was könnte dich bei der Cargovariante umstimmen?“

Ich lachte: „Fangen wir jetzt mit hypothetischen Fragen an?“
„Ja“, nickte Miranda.
Scheiße, ist die Frau clever. So etwas macht mich nass! Aber so schnell lasse ich mich nicht über den Tisch ziehen!
„Warum legst du nicht einfach die Karten auf den Tisch, Miranda-Schätzchen? Wir wissen doch alle, worum es eigentlich geht, oder?“ Ich grinste.
„Wissen wir das?“, fragte sie, vorsichtiger geworden, zurück.
Meine Schwester knallte das leere Glas auf den Tisch: „Komm schon, Miranda! Tammy ist zwar ein Arschloch, aber sie kann zwei und zwei zusammenzählen!“
Meine Chefin zuckte mit den Schultern: „Wenn sie angeblich so schlau ist, dann möchte ich es aber auch gerne von ihr hören: Spuck es aus, Tammy!“

„Gar nichts tue ich, ich fliege nach Hause!“ Ich warf mein Glas in eine weit entfernte Ecke, wo es zerschellte Dann drehte ich mich um und lief gemütlich zur Tür. Ich hatte keine Lust mehr auf diesen Quatsch!

„Du bist gefeuert!“, rief mir Miranda hinterher, was ich mit einem Mittelfinger bestätigte. Ich hatte wirklich die Nase voll, mich mit all dem abzugeben. Ich würde mit Mazikeen zurück auf ein Boot gehen und eben akzeptieren, dass sie es bezahlte. Und ab und zu würde ich Joana treffen und wir würden unsere Girlfriend-Mit-Benefiz-Beziehung weiterführen. Zum Teufel mit ihrem Typen! Das wäre ja nicht das erste Mal. Es war gar nicht mal so sehr diese Situation hier, oder dass ich generell ein Problem mit Mirandas Vorschlag für zwei 737 hatte: Ich habe einfach keine Lust mehr auf Business. Ich will meine Ruhe haben. Ich will segeln oder in Ruhe fliegen und nicht in billigen Bed & Breakfast absteigen, weil eine Firma Geld sparen muss! Und irgendwann würde diese verdammte Firma ja wohl auch einmal ein paar Dividenden abwerfen, damit ich Mazikeen ein paar Dollar zurückzahlen kann (die sie nicht akzeptieren würde). Das Leben kann so einfach sein – warum es unnötig komplizieren?

Wer es jetzt zu komplizieren versuchte, war meine Schwester. Sie packte mich am Arm: „DU BLEIBST HIER!“
„Wie oft willst du dir eigentlich noch eine blutige Nase holen, Anik?“

Unsere Streitereien müssen für Miranda schon ein seltsames Bild abgeben, zumal wir nach wie vor, noch nach mehr als drei Jahrzehnten, die gleichen Frisuren tragen und, wenn wir uns treffen, auch die gleiche Kleidung. Selbst wenn wir noch so zerstritten sind. Aber diesen Spaß gönnen wir uns beide. Vermutlich ist es eine Sache, die jeder von uns für sich selbst macht und dadurch der Streit mit der jeweils Anderen keine Rolle spielt. Komische Sache.

„Hör auf mit dem Scheiß, Tammy!“
„LASS – MICH – LOS!“


Sie hörte auf mich, der Göttin sei Dank, denn ein paar Sekunden später hätte sie eine gefangen, die sie gegen die Wand geknallt hätte. Ich weiß nicht, warum sie mich in jüngster Zeit so wütend macht, aber es ist so, und da sie sich in den vergangenen Jahren mehr um Business als um ihren Body gekümmert hat, ist es inzwischen mit der Gleichwertigkeit vorbei. Sie weiß ganz genau, dass ich Kampfsport betreibe, nach wie vor jeden Tag trainiere oder zumindest Sport treibe, und eine echte Konfrontation für sie nicht gut ausgehen würde.
Vermutlich hat sie mich auch genau aus diesem Grund schließlich losgelassen.


„Bleib hier, Tammy, bitte! Ich will diese Firma weiterbringen. Du hast schon einmal eine kaputtgemacht, willst du jetzt noch eine blockieren?“ Erfreulicherweise hat sie mich losgelassen und ich konnte verschwinden.

Fortsetzung folgt.

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