Was ist Liebe?

Gibt es sie überhaupt, die Liebe?


Zuerst einmal: Ich habe zu diesem Thema eine sehr unflexible Meinung. Liebe ist für mich, wenn ich bereit bin, für die geliebte Person vor einen fahrenden Bus zu springen, um ihr Leben zu beschützen. Um sie zu retten. Das ist Liebe. Für mich. Alles andere ist – na ja, etwas anderes eben. Aber keine Liebe.
Liebe zwischen zwei erwachsenen Menschen muss für mich die gleiche Intensität haben, wie die Liebe einer Mutter für ihr Kind. Alles andere kann ich nicht Liebe nennen. Es ist vielleicht Verliebtheit, vernarrt sein, oder Bewunderung, oder „zu der anderen Person hingezogen sein“, doch all das hat mit echter Liebe nichts zu tun. Wobei sich dann natürlich die Frage stellt, gibt es sie überhaupt? Die Liebe. Wer wäre denn dazu überhaupt in der Lage?

Für mich kann ich das ziemlich einfach beantworten. Ganz generell springe ich für jedes Kind vor den fahrenden Bus. Ja, tatsächlich. Ich, die Kinder nicht ausstehen kann. Irgendetwas lauert da für alle anständigen Frauen – vielleicht sogar für Männer – in den Genen. Kinder sind irgendwie heilig. Für Kinder tun wir alles. Ich jedenfalls. Und viele Andere, die ich kenne, auch. Das nennt man dann wohl Kinderliebe (und jetzt bitte nicht verwechseln mit der pervertierten Art). Aber das ist ja gar nicht das Thema hier.

Was das Thema Liebe zwischen Erwachsenen angeht, bin ich, glaube ich, in einer guten Position, allein schon, weil ich mit drei Frauen (und einem Pimpf) zusammenlebe. Menschen, bei denen sich diese Frage unweigerlich stellt. Ich möchte als Beispiel die wichtigsten Frauen in meinem Leben nennen.

Das wären Joana, Gabby, Mazikeen, meine geliebte Zwillingsschwester Anik und natürlich die kleine Eva, Gabbys Tochter. Welches dieser weiblichen Wesen liebe ich, welches verehre ich, in welches bin ich verknallt, welche der Frauen finde ich einfach toll, und – na ja, wie bringe ich das alles unter einen Hut?

Ich möchte mit Eva beginnen, Gabbys sechsjährige Tochter. Hier ist es ja überhaupt gar keine Frage: Sie ist ein Kind, für das ich vor jeden fahrenden Bus springen würde. Aber ist das Liebe? Nein, behaupte ich. Es ist die positive Art von Kinderliebe. Wir lieben Kinder, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Für mich ist es einfach so, dass ich für Kinder alles tue, wenn es um ihr Wohlbefinden geht, ich jedoch so ein kleines Biest – oder so einen kleinen Mistkerl – absolut nicht um mich haben muss. Ja, das trifft auch auf Eva zu. Es mag sein, dass ich sie, wenn ich sie eine Weile nicht gesehen habe, vermisse, doch nicht, weil ich sie liebe, sondern weil es einfach manchmal ziemlich witzig ist, sie um mich herum zu haben, weil sie hin und wieder eben einfach süß ist. Aber sobald sie wieder in die typische Kindernerverei verfällt, bin ich auch froh, wenn ich sie wieder los bin. Das fällt also garantiert nicht unter die Kategorie Liebe, was bedeutet, dass ich sie nicht liebe. Es ist nicht die Kategorie Liebe, von der ich in diesem Tagebucheintrag sprechen möchte.

Kommen wir also zu meiner Zwillingsschwester. Hier ist es eigentlich recht einfach: Sie ist ich und ich bin sie. Zumindest was das Aussehen betrifft. Gedanklich liegen wir aber wirklich Welten auseinander. Sie ist hetero, ich bin lesbisch. Okay, so einfach ist das auch wieder nicht, denn Anik hat kein Problem damit, mit Frauen ins Bett zu gehen. Das tut sie eigentlich ziemlich regelmäßig. Nicht nur auf Partys, sondern auch ganz privat zuhause, denn Anik ist kein Kind von Traurigkeit. Sie scheint tatsächlich in gewisser Weise genauso auf Frauen zu stehen, wie auch auf Männer. Zumindest sexuell gesehen. Dennoch, so behauptet sie, sei ein Zusammenleben mit einer Frau für sie gänzlich ausgeschlossen. Da kämen nur Männer infrage. (Weswegen sie ja auch mit einem verheiratet ist.) Auch hier übrigens Parallelen zwischen uns beiden: Für sie muss ein Partner älter sein als sie selbst, Gleiches gilt für mich.
Es ist gar keine Frage, dass wir uns auf irgend eine Weise lieben. Seitdem ich denken kann, ist da diese Hassliebe zwischen uns beiden. Früher haben wir uns geprügelt, und zwar so heftig, dass wir mehr als einmal im Krankenhaus gelandet sind, wo unsere Wunden versorgt werden mussten. Ich habe immer noch Narben von den Prügeleien mit ihr. Heute arten unserer Meinungsverschiedenheiten teilweise in Hasstiraden aus, aber nicht mehr in Prügeleien. Was vermutlich daran liegt, dass wir räumlich so weit voneinander getrennt sind, dass unsere Wut schon wieder verflogen ist, wenn wir uns dann tatsächlich wieder einmal treffen. (Sie lebt an der Ost- ich an der Westküste). Ich bin sicher, dass es ansonsten tatsächlich wieder Prügeleien geben würde. Wir sind einfach beide zu impulsiv. Und – das wäre übel! Heute sind wir beide Kickboxerinnen und wenn ich mir vorstelle, dass wir ernst machen würden … Lieber nicht.

Man kann es Hassliebe nennen. Aber wie weit geht die Liebe in dieser Hassliebe? Nehmen wir das Busbeispiel, bei dem die Liebe überwiegen wird. Denn ich würde mich für sie vor jeden Bus werfen und ich bin sicher, umgekehrt ist das ganz genauso. Der Hass in „Hassliebe“ bezieht sich einzig und allein auf unsere Unterschiede, auf die Art und Weise, wie wir leben, auf viele unserer Einstellungen, die teils nicht weiter auseinanderliegen könnten – eben auf unsere generellen Charaktereigenschaften und Persönlichkeiten. Anik ist strebsam, sie hat für alles einen Plan, sie ist Frühaufsteher, treibt mehr Sport, als ihr Körper aushalten kann. Und ich bin – na ja, nennen wir es einfach pleite, faul, gefräßig. Natürlich gibt es auch Gemeinsamkeiten, zum Beispiel, was den Sex angeht – sie ist genauso verrückt danach, wie ich. Auch für sie nimmt er einen großen Teil ihres Lebens ein. Auch sie ist sehr am Fliegen interessiert, jedoch auf eine etwas andere Art als ich. Für sie ist das Fliegen lediglich ein Business, obwohl sie selbst auch eine Fluglizenz besitzt. Für mich ist es mehr oder weniger mein Leben.
Es gibt also eine Menge Unterschiede und eine ganze Menge Gemeinsamkeiten. Wie soll ich es also nun nennen? Ist das tatsächlich Hassliebe? Ist es Geschwisterliebe? Ich würde behaupten, es ist die Liebe zwischen Zwillingen, die vermutlich schon in der Gebärmutter begonnen hat, in der wir vermutlich um unsere Plätze gekämpft haben: Wer hat mehr Raum, wer kriegt mehr zu futtern, wer kann besser schwimmen? Und was ist nun mit der Liebe und dem fahrenden Bus? Würde ich mich vor ihn werfen, um sie zu retten? Klar, jederzeit. Aber auch das ist natürlich nicht die Art von Liebe, von der ich hier sprechen möchte, denn die ist sexuell. Und das ist natürlich eine völlig andere Geschichte.

Kommen wir also zu Mazikeen. Hier möchte ich es kurz machen, um nicht alle zu langweilen, die das hier lesen. Fangen wir gleich mit dem Bus an: Nein, ich würde nicht springen, das weiß ich. Ich würde erstarren. Stehenbleiben, völlig entsetzt, und würde mein Leben lang um sie trauern. Ich wäre geschockt, verzweifelt, und würde vermutlich jahrelang jede Nacht heulen. Vielleicht auch ein wenig, weil ich nicht gesprungen wäre, weil ich also nicht ihr Leben über meines gestellt hätte, was besonders schlimm ist, weil sie es jederzeit getan hätte. Mazikeen liebt mich abgöttisch, das ist mir klar.
Aber was ist mit mir? Mazikeen ist seit langer, langer Zeit in meinem Leben. Ich kann mir ein Leben ohne sie eigentlich gar nicht richtig vorstellen. Obwohl wir zeitweise wirklich komplett getrennt waren, sie hat auf Orcas Island gelebt, ich in Norwegen, und unser einziger Kontakt war, dass sie in ihrem Haus viele meiner Sachen gelagert hatte und sie diejenige war, die, neben meiner Mutter, all meine privaten Angelegenheiten geregelt hatte. Heute sind wir wieder zusammen. Auch heute noch ist sie diejenige, die sich um mein Leben kümmert. Was mich angeht – nein, ich regele nichts für sie. Ich bin nicht auf die gleiche Weise für sie da, wie sie für mich. Wir haben Sex, keine Frage. Meistens dann, wenn Gabby oder Joana nicht zur Hand sind. Manchmal ist sie auch als Dritte dabei.
Aber nein, das ist keine Liebe. Jedenfalls von meiner Seite aus nicht, von ihrer ganz bestimmt.

Kommen wir zu Gabby. Hier liegt die Sache eigentlich ganz einfach: Ich stehe auf sie. Vor allem stehe ich auf ihren Body und auf die Figuren, die sie in ihren Filmen verkörpert. Das macht mich alles ganz tierisch an. Ich mag, dass sie ein Superstar ist, ich mag, dass sie so viel Geld besitzt, wie die Göttin selbst; ich möchte, dass sie sich wohl fühlt und es ihr gut geht, doch Liebe ist das nicht. Ich bin verrückt nach ihr, ja. Sie ist ein Superstar, und auf die stehe ich nun mal. Und – sie hat gewaltig geile Titten.
Thema erledigt.

Und dann ist da Joana.
Sie ist die Liebe meines Lebens, ganz simpel und einfach. Ich würde für sie vor jeden Bus springen, vor jedem Zug, ich würde meine Hand in siedendes Öl halten, damit sie es nicht tun muss, und ich würde ohne Fallschirm aus jedem Flugzeug springen. Ich liebe sie.
Joana ist alles, was ich im Leben brauche. Anders kann ich es nicht bezeichnen. Dass sie ein Superstar ist, genau wie Gabby, ist ein Bonus. Dass ich sie überhaupt kennengelernt habe, hat natürlich damit zu tun. Als Teenie war ich verrückt nach ihr. Immer, wenn ich sie im Fernsehen gesehen habe, ist die Sonne aufgegangen. Das hat sich nie geändert. Vielleicht ist sie sogar der Grund, dass ich so verrückt nach Stars geworden bin. Starstruck, wie ich das gerne bezeichne.

Und dann kam der große kosmische Zufall: Ich habe sie persönlich kennengelernt. Wann und wie das passiert ist, habe ich in diesem Tagebuch bereits beschrieben. Ich möchte nur so viel sagen: Es war Schicksal. Es hatte einfach passieren müssen. (Und an dieser Stelle möchte ich hinzufügen, dass ich an so etwas wie Schicksal überhaupt nicht glaube. Doch die Sache mit Joana konnte nur Schicksal gewesen sein.)
Dazu kommt noch der Fakt, dass Joana zu hundert Prozent hetero ist. Wie es dazu kam, dass wir heute Sex haben – auch das wird in diesem Tagebuch beschrieben. Einfach viele von den annähernd 1000 Einträgen nach hinten blättern.

Joana und ich wurden beste Freundinnen, allerbeste Freundinnen; wir haben uns als beste Freundinnen geliebt – ganz ohne Sex. Wir haben einander alles erzählt, wir waren nicht wie Star und Groupie, ganz und gar nicht. Ich weiß, zumindest glaube ich das, dass ich alles über sie weiß. Ich weiß von ihren Beziehungen, von dem Schmerz, den sie bei den Trennungen – vor allem bei einer – erlitten hat, ich weiß, wie oft sie eigentlich hatte gar nicht mehr weitermachen wollen. Ich weiß von ihren Eskapaden, ich weiß von dem Sex, den sie hatte, ich weiß von ihren Gefühlen dabei, ja, ich glaube, ich weiß so ziemlich alles von ihr.
Und ich weiß, dass ich mich von ihr hatte trennen wollen. Dass ich mich als beste Freundin trennen wollte und ein Leben ohne sie in Betracht gezogen habe. Manchmal war ich kurz davor. Warum? Weil der Wunsch, mit ihr intim zu werden, der unbändigen Drang mit ihr Sex zu haben, teilweise so extrem wurde, dass ich ganze Nächte masturbiert habe, ein Höhepunkt nach dem anderen hatte, immer mit ihrem Bild vor Augen. Das war nicht mehr gesund!
Wir haben uns damals Liebeserklärungen geschickt, haben einander ewige Liebe und Treue geschworen. Aber sie sprach natürlich von der platonischen Form der Liebe. Sie konnte nicht anders, sie hatte sexuell mit Frauen nichts am Hut. Sie sagte – und das tut sie heute noch – dass Frauenlippen im Gegensatz zu der landläufigen Beschreibung, vor allem in der lesbischen Literatur, in keiner Weise weich und zärtlich sind, sie empfindet sie als hart und fordernd, weiche Lippen haben für sie nur Männer. Was für mich natürlich verletzend war, verletzend ist, doch Gott sei Dank gibt es da die anderen Frauen, die meine Küsse als erotisch beschreiben, meine Lippen als weich, warm und sinnlich. Immerhin. Aber leider nicht Joana. Muss auch so ein hätte Heteroding sein.
Als ich mich von ihr trennen wollte – wir hatten uns in der Tat eine Weile nicht gesehen – änderte sich die Situation. Sie ist nach wie vor nicht optimal, doch immerhin ist sie. Wie es dazu gekommen ist, dass wir heute miteinander schlafen, wird auch in diesem Tagebuch beschrieben. Kurz zusammengefasst: Ich konnte und wollte ohne Sex mit ihr nicht mehr weitermachen; sie wollte sich nicht von mir trennen und so ist es dann passiert. Ich weiß, dass sie nur tut, was ich möchte, dass sie mir einfach nur gibt, was ich brauche, nur damit wir beste Freundinnen bleiben können. Und wenn ich ehrlich bin, sind wir das heute noch, denn Liebhaber, nein, so kann man das nicht nennen. Wenn die eine die Dinge tut, die die andere braucht und selbst dabei keine wirkliche Befriedigung empfindet, nein, dann sind diese beiden Menschen keine Liebhaber. Nicht in meinen Augen. Beste Freundinnen eben.
Sie hat Sex mit Männern. Eine ganze Menge. Sie erzählt mir von jedem einzelnen Mal und ich habe kein Problem damit. Erstaunlicherweise, weil ich weiß, wie wichtig es ihr ist und weil ich weiß, dass Sex für sie wichtig ist. Sex mit Männern. Nein, Joana ist hundertprozentig nicht lesbisch. „Ich liebe Dich mehr als mein Leben“, sagt sie und meint es. Und ich bin sicher, dass es stimmt. Aber sie zu lieben ist schwer, ist traurig, ist fantastisch und göttlich. Und ja: sie zu lieben. Denn Joana ist meine große Liebe, sie ist mein Stern am Nachthimmel, der hellste, der wichtigste, der mich durch mein Leben führt. Sie ist meine Venus, meine Aphrodite, und alles, was ich jemals im Leben wollte. Was ich jemals im Leben wollte, in der Tat. Es ist gut, wie es ist, ich verlange und erwarte nicht mehr. Denn das Wichtigste ist, die Sache mit den besten Freundinnen. Denn das sind wir nach wie vor. Doch dass ich es auf Dauer nicht ausgehalten habe, mit ihr zusammen zu sein, ohne mit ihr zu schlafen, das ist etwas, was unser Leben – vor allem meines – jahrelang schwierig gemacht hat. Leider hat mein Körper unsere Liebe etwas anders gesehen, als ihrer. Denn meiner verlangte ultimativ nach Sex. Mit ihr.
Und den hat sie mir dann irgendwann gegeben. Und dafür liebe ich sie noch mehr. Nein, es macht mir nichts aus, dass sie es nur um meinetwillen tut. Es macht mir nichts aus, dass sie keinen besonderen Spaß dabei hat, man möge es egoistisch nennen, doch solange es für sie akzeptabel ist, solange sie zumindest etwas Freude daran hat, solange ist es okay für mich. Solange es für sie okay ist. Und das ist es. Manchmal muss man Zugeständnisse machen, um das Große und Ganze zu erhalten. Nichts Anderes tun wir. Tut sie.

Das ist Liebe. Das ist Liebe, wie ich sie definiere.

Ich will niemandes Liebe abwerten. Ganz und gar nicht. Ich rede hier davon, was ICH als Liebe definiere. Ganz alleine ich. Und mir ist vollkommen klar, dass jeder seine Liebe oder das, was er sich als Liebe wünscht, ganz für sich alleine definieren muss.

Ich liebe Joana – und das wird immer so bleiben.

In guten, wie in schlechten Zeiten

Und dann gibt es da noch meine Bücher:
https://tinyurl.com/y38cg4ur

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